Vegan geht doch!?

Ernährungs-Update Nr. 2


Nachdem nun bereits mehr als 3 Monate vorbei sind und ich immer mehr in die mexikanische Kultur eintauche, gebe ich ein zweites Update über meine kulinarischen Erfahrungen. Sowohl im Alltag, auf Feierlichkeiten, sowie in den Läden habe ich viele neue Erfahrungen sammeln können.

Geburtstag geht nie ohne Fleisch


In Mexiko wird der 15. Geburtstag der Mädchen im Zuge einer sehr großen Feier, der „Quinceañera“ gebührend zelebriert, zu der immer alle Freunde, Bekannte und die Nachbarschaft eingeladen werden. Natürlich bedeutet dies, dass dementsprechend viel Essen benötigt wird. Drei Mal war ich bereits Gast auf so einer Feier und jedes Mal viel mir eine Sache ganz besonders auf:
Ohne Fleisch geht hier nichts.
  
Sei es pures Hühnerfleisch, angerichtet mit Reis, Sauce und Tortillas oder verarbeitet in diversen Gerichten, manchmal sogar als einzige Auswahl. Jedenfalls nimmt der Verzehr von Fleisch auf solchen Anlässen ein außergewöhnlich großes Ausmaß an, oft werden eigens dafür mehrere Hühner, Schweine oder Kühe geschlachtet, um den Gästen das bieten zu können, was sie wollen.
Ehrlich gesagt habe ich schon fast ein Unwohles Gefühl bevor es zu solchen Feiern geht, denn im Vorfeld kann man sich nur sicher sein, dass es Fleisch gibt, etwas anderes ist unklar. Darüber hinaus möchte ich nicht unhöflich sein, denn das Fleisch ist sehr teuer und den Mexikanern wichtig. Oft wird gesagt:

Gibt es auf der Feier kein Fleisch, ist es eine schlechte Feier.“

Dennoch habe ich glücklicherweise immer etwas bekommen können. Oft reicht es aus, lediglich nach einer Portion ohne Fleisch und dafür mit etwas mehr Reis zu bitten, oder das Fleisch einfach liegenzulassen. Daraufhin bekommt man zwar ungläubige Blicke und muss es eventuell noch einmal erläutern, doch dies macht mir meistens nichts aus. Manchmal komme ich aber nicht anders aus, als mir mein Essen selber mitzubringen. Als mich die Lehrerin aus dem Kindergarten vor einigen Wochen zu der Quinceañera ihrer Nichte mitnahm, brachte sie mir tatsächlich eine Dose mit gekochtem Gemüse mit, weil sie wusste, dass es dort fast ausschließlich Fleisch zu Essen geben wird. Ich war zugleich erstaunt, aber auch sehr dankbar über diese Aufmerksamkeit.

Aus Versehen“ vegan


Im Alltag auf den Straßen oder auch in den Supermärkten schaue ich mich gerne um und sehe mir die Produkte an, die es zu kaufen gibt. Nicht selten bin ich durchaus überrascht, wie vielfältig die Auswahl der Sojaprodukte doch ist. In unserem ersten Monat in Oaxaca war ich noch etwas enttäuscht, dort war die Auswahl ziemlich beschränkt. Doch hier im Gebiet um Ixmiquilpan in Hidalgo scheint die Bohne ihren Einzug gefunden zu haben. Auf den Märkten gibt es sie zum Kilopreis für um die 1€ und in Naturshops lassen sich zahlreiche Ersatzprodukte wie Bratlinge, „Schnitzel“ oder „Hack“ aus Soja wiederfinden.
Zudem bereitet die Köchin des Pfarrhauses des Öfteren Gerichte aus Soja für mich zu und verfeinert diese mit leckeren Gewürzen und Saucen, sodass genussvolle Mahlzeiten daraus entstehen. Angerichtet mit so genannten Tostadas (frittierte Tortillas aus Maismehl) bekomme ich sogar vegane Mittagessen serviert. Anders als an großen Festen wird im Alltag häufig mit viel frischem Gemüse gekocht. Deshalb fällt mir immer wieder auf, dass das Essen, das wir zum Mittag verspeisen, oft vegan ist. Ob dies Absicht ist oder nicht, sei in Frage gestellt. Ich vermute, dass es „aus Versehen“ passiert, da die meisten Mexikaner den Begriff „Vegan“ nicht kennen und sich demnach nicht vorstellen können, was dies zu bedeuten habe. Dennoch freut es mich sehr, dass ich mich doch relativ gut ohne tierische Erzeugnisse hier ernähren kann.



Essen auf der Straße: Sowohl in den Städten, als auch in den Dörfern findet man viele Stände, an denen man sich setzen und verschiedenste Gerichte probieren kann. Hier zu sehen: "Chilanquiles" - ein traditionelles mexikanisches Gericht bestehend aus Tortilla-Chips in pikanter Salsa mit Salat, sehr lecker und vegan. Auch erweiterbar mit Hühnerfleisch, Käse und einer Creme.


Genieße ich die mexikanische Küche überhaupt?


Oft fragen mich die Leute, wenn ich ihnen erzähle, dass ich mich eigentlich komplett tierfrei ernähre, ob ich die mexikanische Küche so überhaupt genießen kann. Die Zubereitung und vor allem der Verzehr des Fleisches ist hier einfach enorm wichtig, sei ein großer Part der Geschichte und Kultur, sowie ein teures Gut, das den Gästen liebevoll angeboten wird. Dies macht mich schon manchmal nachdenklich darüber, ob ich nicht doch an der ein oder anderen Stelle etwas nachsichtiger sein sollte. Schließlich entgehen mir die verwirrten, fragenden Gesichter und das häufige Unverständnis nicht.

Deshalb stehe ich in einem ständigen Konflikt mit mir selbst. Natürlich möchte ich so viel es geht hier mitnehmen und ausprobieren, sowohl kulturell als auch kulinarisch. Zudem würde ich lügen, wenn ich sagen würde, dass mir Käse oder Joghurt nicht schmecken. Andererseits weiß ich genau, wie es in den allermeisten Mastbetrieben zugeht, wie beispielsweise Milchkühe täglich gequält werden und nur ein Bruchteil ihrer eigentlichen Lebensdauer erreichen. Wenn ich ein Glas Milch vor mir stehen sehe, habe ich direkt diese Bilder vor Augen, weswegen es mir sehr schwer fällt, es zu greifen und sie zu trinken. Zudem bin ich der Meinung, dass mein Genuss nicht im Zusammenhang mit dem Leid anderer Lebewesen stehen muss. Ich definiere für mich selbst, was ich genieße und was nicht.
Da ich weiß, dass es nicht nur in Deutschland, sondern auch hier viele rein pflanzliche Gerichte gibt, die sehr köstlich sind, bin ich mir ziemlich sicher, dass ich deshalb so meine Zeit auf jeden Fall genießen kann - in dem Rahmen, in dem ich es will.


Bis dann


Niko

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